Fremde – Freunde – Familie: CAMPUS15 unterwegs für Frieden und Verständigung in Serbien und Bosnien.
„There on the other side of the street! Look! I saw them!” Lautes Geschrei und Jubelrufe brachen in dem Bus aus, der Sonntagnachmittag in den Busbahnhof von Belgrad einfuhr. Nachdem die Jugendlichen aus Deutschland, Polen und den Niederlanden sich in Köln getroffen hatten und gemeinsam nach Belgrad geflogen waren, konnten sie es nun kaum noch erwarten: Endlich, nach 345 langen und oft einsam erscheinenden Tagen, sollten sie auch den Rest der Gruppe, ihre Freunde aus Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien, wieder in die Arme schließen können. Minuten vergingen, bis sich alle 32 Teilnehmer und ihre 9 Betreuer begrüßt hatten. Ringsherum strahlende Gesichter, fröhliches Gelächter und unbeschreibliche Glücksgefühle. Wirklich, ein Jahr, nachdem sie sich im Sommercamp „Mitteleuropa trifft Südosteuropa“ auf Einladung von „CAMPUS15 – Jugend wagt den Frieden e.V.“ kennen gelernt hatten, ein Jahr, in dem sie nur über das Internet und Telefon den Kontakt gehalten haben, denn nur vereinzelt waren auch persönliche Treffen möglich, lagen sie sich wieder in den Armen.
Diese Rückbegegnung, von den Jugendlichen im letzten Sommer lautstark gewünscht und jetzt durch viel ehrenamtliche Arbeit, private Spenden und Förderung durch das Jugendprogramm der Europäischen Union ermöglicht, sollte nicht nur Gelegenheit bieten, einander wieder zu sehen und Freundschaften zu vertiefen. Das schöne Sommerwetter, 40° C im Schatten und mehr, sollte auch genutzt werden, um etwas für Andere zu tun. Vergangenes Jahr haben die Teilnehmer selbst erlebt, dass man mit Menschen aus sieben verschiedenen Ländern, das bedeutet auch mit verschiedensten Sprachen, Religionen und Kulturen, ohne Ängste oder Probleme zusammenleben kann. Dies wollten sie Anderen zeigen, als geeinte Gruppe handeln und als Beispiel für „gelebten Frieden“ auftreten. Daher hat man sich, während des ersten Teils der Rückbegegnung vom 15. bis 23. Juli in Bela Palanka in Serbien, mit der fehlenden Integration der „Roma“ beschäftigt. Roma machen fast 5% der Bevölkerung Serbiens aus, werden aber diskriminiert und leben großteils in ständiger Armut. Nachdem die Gruppe durch einen Vortrag über die Geschichte der Roma unterrichtet worden war, konnte die richtige Arbeit beginnen. Gemeinsam mit etwa 10 jugendlichen Roma wurde in drei Workshops gearbeitet: die Einen haben durch Handzettel und Plakate die örtliche Gemeinde zu einer Präsentation eingeladen. Die Anderen haben Theaterstücke eingeübt, die die offene Diskriminierung der Roma darstellten, Lösungen für diese Probleme aufzeigten und die später bei der Präsentation aufgeführt wurden. Die dritte Gruppe hat mit der örtlichen Pfadfindergruppe „Remizijana“ gearbeitet und dabei selbstständig Bänke aus Holz gebaut und einen Feuerplatz hergerichtet. Die Pfadfindergruppe ist der serbische Partner von CAMPUS15.
Es ist schon einmalig, dass eine internationale Jugendgruppe gemeinsam mit Roma eine Präsentation veranstaltet. Das haben auch die Anwohner bemerkt, und so wurde die bunte Truppe neugierig bestaunt. Natürlich hat die Gruppe das mit Wohlwollen aufgenommen, fühlten sie sich doch in ihrer Auffassung von Integration bestätigt.
Doch es wurde nicht nur gearbeitet: es fehlte nicht an Wasserschlachten, Spaß und nächtlichem Treiben…Die 16 -18 Jährigen haben die rare Zeit voll genutzt: Abends am Lagerfeuer wurden allbekannte Lieder gesungen, gelacht und einfach nur die gemeinsamen Momente genießend, zusammen gesessen. Auch gab es viel zu erzählen: „Was hast du letztes Jahr alles so gemacht und erlebt? Ja, natürlich habe ich dich auch total vermisst…“
Nach dort getaner Arbeit und einer nächtlichen Busreise quer durch Serbien, erreichte man Tuzla im Nordosten von Bosnien und Herzegowina. Hier fand der zweite Teil der Rückbegegnung statt, die am 1. August zu Ende ging. In Tuzla wurde an einem ganz anderen Projekt gearbeitet: Das „House for Children without Parental Care“, ein Waisenhaus, das um die 110 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsende im Alter von 0 -21 Jahren beherbergt, erwartete die hoch motivierten Jugendlichen.
Vorgenommen hatte sich die Gruppe von CAMPUS15, die Außenanlage zu verschönern und mit den Kindern drei Tage lang ein besonderes Programm zu gestalten. Deswegen wurde auch hier in unterschiedlichen Gruppen gearbeitet. Mit den Jüngeren wurden Handpuppen aus Pappmaschee oder auch Socken gebastelt, was sowohl viel Kinderlächeln als auch ein kunterbuntes Kleisterchaos herbeizauberte. Die Älteren konnten sich mit der Sportgruppe, die Fußball, Basketball oder Frisbee spielte oder bei dem Tanzworkshop austoben. Eine andere Gruppe hat alte, verrostete Bänke repariert und neu gestrichen, aber auch Sitzbänke aus Holz zurechtgeschnitten und auf Steinhalbkreisen angebracht. Die Workshops sind von den Jugendlichen zum Großteil selbständig vorbereitet und betreut worden. Die drei Tage haben für Alle auch Überraschungen bereitgehalten: für die Teilnehmer, die der Landessprache nicht mächtig waren, die Erkenntnis, dass man sich auch ohne Worte und nur mit Gestik und Mimik verständigen kann und für alle Anderen das Gefühl, diesen Kindern ein wenig Glück und Freude geschenkt zu haben. Einfach nur ein strahlendes Lächeln zu sehen und ein lautes Lachen zu hören, hat Alle für recht viel Arbeit entschädigt…
Egal wie viel während dieser Rückbegegnung auch für Andere gearbeitet wurde, letztendlich haben die Teilnehmer Einiges für sich selbst gewonnen und gelernt. Sie haben als eine Gruppe zusammengelebt, die Frieden und Freundschaft als oberstes Gebot hatte. Sie haben erkannt, dass man mit sehr wenig sehr viel erreichen kann, dass es oft schon reicht, jemandem ein nettes Wort zu schenken, um einen schönen Tag zu bereiten. Sie haben gelernt, dass sie in ganz Europa Menschen haben auf die sie bauen können. Sie können Brücken bauen, die ihre eigenen Geschichten, aber auch die Länder aus denen sie kommen, verbinden und enger zusammenführen. Brücken, die der erste Schritt in eine gemeinsame und friedvollere Zukunft für Alle sind.
Eine erste Brücke wollen die Teilnehmer ganz eigenständig bauen: sie wollen sich ein drittes Mal treffen. Doch dieses Mal werden sie ihr Zusammenkommen selbstständig organisieren, Projektideen in die Tat umsetzen und einen Weg finden, es zu finanzieren. Motiviert und davon überzeugt, dass sie es schaffen können, sind sie alle Mal. Denn sie wissen, dass sie letztes Jahr noch als Fremde für drei Wochen in Deutschland zusammen kamen und sich als Freunde getrennt haben. Jetzt kamen sie als Freunde für zweieinhalb Wochen in Serbien und in Bosnien und Herzegowina zusammen und sagen, dass sie als Familie auseinander gegangen sind…